Elfenportal

Damals war es Herbst, zu der Zeit, in der bunte Blätter den Boden bedeckten und kühle Brisen durch die Straßen wehten. Der Himmel war grau und das Wetter ungemütlich. Zu solch einer Zeit sollte man lieber zu Hause sitzen und auf schöneres Wetter warten.
Der Tag damals war besonders schlimm. Der Wind wühlte all die roten, braunen und gelben Blätter auf. Der Himmel war voll von sturmgrauen Wolken. Überall ächzten die Äste der Bäume unter den ständigen Böen.
Durch eine Baumallee spazierte ein junges Mädchen, das mit einer dicken Daunenjacke bekleidet war und wasserfeste Schuhe trug. Ihr schulterlanges braunes Haar peitschte umher. Sie hatte ihre Hände tief in den Taschen ihrer warmen Jacke vergraben und ging leicht gebückt vorwärts, das Gesicht vom Wind abgewandt. Der Name dieses Mädchens war Alexa.
Alexa war nicht besonders gut gelaunt. Genauer gesagt war sie traurig. Und verzweifelt. Ihr Freund, Tim, war vor einigen Tagen spurlos verschwunden. Die Polizei suchte noch nach ihm, bisher erfolglos. Alexa machte sich unglaublich viele Sorgen um ihn. Schon zwei Jahre waren sie zusammen gewesen und hatten sich nahezu jeden Tag getroffen. Sie konnte sich noch genau an die letzte SMS erinnern, die sie von ihm bekommen hatte: Hey! Wie wär’s mit Kino? Meine Eltern sind gerade weg, ich könnte dich abholen. Hoffentlich bis gleich, Tim.
Doch nun war Tim weg und Alexa wusste nicht, was sie jetzt tun sollte. Ihre Freunde und Familie mussten hilflos zusehen, wie sie unruhig durch die Straßen schlich und kaum noch ein Wort mit ihnen wechselte.
Alexa wischte sich eine kleine Träne aus dem Auge. Wo war Tim bloß? Sie vermisste ihn. Ohne ihn hatte sie zu nichts Lust; weder zum Lesen, noch zum Singen oder Sport treiben. Sie hatte sich durch die Abwesendheit ihres Freundes zu einem wahren Stubenhocker entwickelt. Sie seufzte und sah auf. Vor ihr zog sich die Allee scheinbar endlich hin; es war kein Ende zu erkennen, und als das Mädchen über ihre Schulter zurückblickte, sah sie nicht einmal den Anfang.
Doch so trostlos dieser Tag auch scheinen mochte, sollte er dennoch einer der wichtigsten in Alexas Leben werden. Denn jetzt erst bemerkte sie die Gestalt, die neben ihr zwischen den Bäumen stand. Verwirrt blieb das Mädchen stehen und sah die Person an.
„Wer bist du?“, fragte sie. Das war zwar ziemlich unhöflich, aber wenn Alexa ungeduldig oder aufgeregt war, hielt sie sich einfach nicht mehr an die Umgangsformen. Und in diesem Moment war sie sehr aufgeregt. Alexa trat näher an die Gestalt heran und stockte. Diese Person war niemand anderes als eine Elfe. Spitze Ohren, groß, schlank, schön... Genauso, wie diese Fabelwesen in den Fantasybüchern beschrieben wurden. Aber das konnte nicht sein! Es gab doch gar keine Elfen!
„Mein Name ist nicht wichtig. Ich bin nur hier, um dir eine Botschaft zu übermitteln. Von einem jungen Mann namens Tim“, sprach die Elfe.
Alexas Mund klappte auf und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Von Tim? Wo – wo ist er? Geht es ihm gut?“ Sie ging noch ein paar Schritte auf die Elfe zu. War sie vielleicht eine Einbildung? Aber konnten Einbildungen sprechen?
Die Elfe schwieg für einige Sekunden. Dann antwortete sie: „Ja, von Tim. Er ist dort, wo ich herkomme. Und ja, es geht ihm gut.“
Erleichterung durchströmte das Mädchen. Es ging Tim gut. Jedenfalls, wenn man der elfe Glauben schenken konnte. „Kannst du mich zu ihm bringen?“, fragte sie.
Die Elfe nickte. Sie trat einen Schritt zur Seite und dort, wo sie vorher gestanden hatte, erschien plötzlich ein merkwürdiges in allen erdenklichen Farben blitzendes Loch, sich mitten in der Luft befindend. „Dies ist das Portal, das dich in meine Heimat bringen wird“, erzählte die Elfe. „Und an den Ort, an dem sich Tim befindet. Aber sie gewarnt: Bist du einmal hindurchgegangen, kannst du nie wieder zurückkehren.“
Alexa starrte erst die Elfe, dann das Portal an. Sie würde nie wieder zurückkehren können... Sie würde nie wieder ihre Familie, ihre Freunde sehen; nie wieder ihr Zimmer betreten, nie wieder zur Schule gehen. Aber Tim wartete auf der anderen Seite dieses merkwürdigen Loches auf sie. Und was sollte sie ohne ihren Freund tun? Ihr Herz pochte schnell und laut; so wie damals, als sie Tim das erste Mal begegnet war.
Sie schluckte. Eine andere Welt...
Alexa ging vor das Portal, sah die Elfe noch einmal kurz an, und trat dann vor, ohne zurückzublicken.
In eine andere Welt. In eine bessere Welt.
In eine Welt mit Tim.

(c) by Karin D.

Für meinen ersten Schreibwettbewerb überhaupt geschrieben und wurde sogar angenommen! Als ich meine Freunde dann die Geschichte lesen ließ, waren diese ziemlich überrascht, weil kein Tod und Verderben in der Story vorkommt. Nun ja, der Wettbewerb richtete sich an Kinder und Jugendliche, von daher fand ich es unangemessen, etwas blutiges zu schreiben, und so entstand eine Geschichte über eine Elfe.